Gehört der Islam zu Deutschland? – Eine Frage der Geschichte

Wie bereits an anderer Stelle geschrieben wird bei der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, völlig an dem eigentlichen Inhalt der Fragestellung vorbei diskutiert. Die Frage wird fast ausschließlich mit der Integrationsfähigkeit von ausländischen Muslimen und Musliminnen verknüpft, sodass man sie letztlich auch mit JA oder NEIN beantworten kann. Legt man den Fokus auf (ausländische) Muslime, die sich asozial gegenüber der hiesigen Mehrheitsgesellschaft verhalten, so lautet die Antwort konsequenterweise: NEIN. Legt man den Fokus auf (ausländische) Muslime, die sich sehr gut integrieren und unserer Mehrheitsgesellschaft aufgeschlossen gegenüber stehen, lautet die Antwort konsequenterweise: JA. Beide Antworten gehen aber am eigentlichen Gehalt der Frage vorbei. Sie beantworten die Frage: „Gehören Muslime zu Deutschland“, nicht aber die Frage, ob der „Islam“ zu Deutschland gehört; respektive ob der Islam die Geschichte Deutschlands und Europas, die Biographien der heute hier lebenden Menschen (unabhängig ihres Glaubens) beeinflusst hat. Das ist hier die eigentliche Frage, die aber weder im Internet noch in den öffentlichen Medien, geschweige denn in irgendwelchen populären Talkrunden gebührend diskutiert wird. Die nachfolgenden Zeilen möchte ich aber gerade der Beantwortung dieser eigentlichen Frage widmen. Denn wer sich fernab von linken oder rechten Parolen einmal ernsthaft mit dieser spannenden Frage auseinandersetzt wird sehen, dass sich beide Kulturen gegenseitig sehr stark beeinflusst haben und noch bis heute beeinflussen; oder wie es Goethe einst formulierte: „Wer sich selbst und Andre kennt, Wird auch hier erkennen: Orient und Occident sind nicht mehr zu trennen…

IMG_20160524_112423

Der West-Östliche Divan von Johann Wolfgang von Goethe

 

Deutschland und die „jüdisch-christliche Leitkultur“

Zunächst einmal möchte ich auf die hohle Phrase von der „jüdisch-christlichen Leitkultur“ eingehen, die Deutschland angeblich präge. Ob Volker Kauder von der CDU oder diverse Persönlichkeiten aus der AfD; sie alle beschwören immer wieder „unsere jüdisch-christliche Leitkultur“ oder auch „unsere jüdisch-christlich-humanistische Kultur“. Bitte entschuldigen Sie mir an dieser Stelle den Zynismus aber das einzige was der Durchschnittsdeutsche vom Judentum weiß ist vermutlich der Holocaust. Und selbst der wird von einigen sich fälschlicherweise als besonders „deutsch“ meinenden Armleuchtern noch geleugnet. Aber fragt man sich doch einmal ernsthaft: Wie viele Menschen in Deutschland waren schon einmal in einer Synagoge? Wer kennt jüdische Feiertage? Was wissen wir Nicht-Juden vom Judentum? Sehr wenig bis Nichts schätze ich einmal. Wie aber kann man dann bitte von einer „jüdisch“-christlichen Leitkultur in Deutschland sprechen? Es scheint, als wäre das „jüdisch“ deshalb in diese Phrase aufgenommen worden, um dem schlechten Gewissen oder dem legitimen Hinweis sich diskriminiert fühlender Juden zuvorzukommen. Traurigerweise ist wohl das „jüdischste“ Element in unserer Kultur die Diskriminierung. Die Geschichte Europas und insbesondere auch Deutschlands seit dem Mittelalter ist geprägt von der Diskriminierung bis hin zur angestrebten Massenvernichtung von Juden. Mehr scheint auch in den Köpfen der meisten Menschen davon nicht übrig zu sein. Dass Albert Einstein, Franz Kafka oder Heinrich Heine (um nur einige wenige zu nennen) Juden waren, weiß kaum jemand. Insgesamt finde ich, dass es einer „jüdisch-christlich-humanistischen“ Gesellschaft besser anstehen würde, den Glaubensinhalten und Traditionen des Judentums (z.B. in schulischen Lehrplänen) einen breiteren Platz einzuräumen. Ich persönlich kam in der Schule jenseits des zweiten Weltkriegs jedenfalls kaum in Berührung mit dem „jüdischen“ Teil unserer angeblichen Leitkultur. Richtig ist, dass das Judentum einen starken Einfluss auf die Entwicklung Deutschlands und Europas hatte und hat; auch wenn man sich dessen nur wenig bewusst ist. Gleiches gilt für den Islam. Mit dem Unterschied, dass man den Islam noch nicht als hohle Phrase Einzug in unsere „Leitkultur“ halten ließ. Am tatsächlichen Einfluss des Islams auf die Entwicklung der Kulturgeschichte Europas und Deutschlands ändert das allerdings nicht.

 

Negative Erfahrungen zwischen „Christen“ und „Muslimen“ in Europa

Aber kommen wir zurück zur eigentlichen Frage und weil wir bereits beim Negativen sind – Europa (welches es zu diesem Zeitpunkt als solches noch gar nicht gab) verband im Mittelalter mit dem Islam zuerst einmal negative Erfahrungen, welche es gleichzeitig als Kontinent- und Kulturgemeinschaft christlichen Glaubens durch einen gemeinsamen „ungläubigen“ Feind (nämlich den bösen Moslem) zusammenschweißte. Ob das dann der Moslem, Sarazene, Araber, Türke, Osmane oder anderweitig Orientale war, spielte keine Rolle – damals war keine Zeit für Differenzierungen… und heute scheint das in Teilen nicht anders zu sein. Die erste negative Erfahrung mit „dem Islam“ machten die „christlichen“ Europäer mit den Arabern in der Schlacht von Tours und Poitiers (732 n. Chr.). Egal ob „Muslime“ oder „Araber“ – es waren in erster Linie politisch motivierte Eroberer, die von einem ebenfalls in erster Linie politisch motivierten Karl Martell bekämpft und besiegt wurden. Rückblickend wird dieser Sieg Karl Martells von manchen zur „Rettung des Abendlandes“ stilisiert, der die „Unterwerfung Europas unter den Halbmond“ aufgehalten hatte. Faktisch gab es zu dieser Zeit überhaupt keine Einigkeit unter den verschiedenen Völkern und Reichen des heutigen Europas. Auch das Motiv der katholischen Kirche, die die treibende Kraft hinter der Bekämpfung der „heidnischen Araber“ war, war offensichtlich weniger die Angst um die Spiritualität ihrer Anhänger als vielmehr die Angst um schwindende politische Einflussmöglichkeiten, die sie einbüßen musste, als die Araber / Muslime die iberische Halbinsel eroberten.

In dieser Zeit liegt auch die Wurzel des heutigen Konflikts zwischen Europäern und Orientalen, der damals zu einem pseudo-religiösen Konflikt zwischen „Christen und Muslimen“ gemacht wurde, obwohl es auf beiden Seiten weniger um die Religion im Sinne des Glaubens ging als vielmehr um die Religion als (Herrschafts-)System – wie gesagt: auf beiden Seiten. Seither wurden alle Begegnungen mit „Muslimen“ in Europa als negative Begegnung und zu einer Frage der Religionsunterschiede aufgebauscht. Deutlich wird das daran, dass Christen unter maurischer / „muslimischer“ Herrschaft auf der iberischen Halbinsel ihren Glauben ausleben durften (übrigens genauso wie Juden, die im übrigen Europa des Mittelalters als „Gottesmörder“ unterdrückt wurden, weshalb gerade sie nicht nur auf der iberischen Halbinsel bei den Mauren / Muslimen Zuflucht fanden, sondern auch in den afrikanischen und asiatischen Herrschaftsgebieten der „Muslime“). Historiker sprechen deshalb von den spanischen Gebieten um Andalusien, Cordoba und Granada als „Zentren der Toleranz unterschiedlicher Religionen im europäischen Mittelalter“. Auch wenn diese Bezeichnung vielleicht eine zu positive Darstellung der tatsächlichen Lebensumstände war (Christen und Juden wurde es bisweilen auch verwehrt, Staatsämter zu bekleiden), so ist doch unumstritten, dass die Glaubensfreiheit unter Herrschaft der Mauren oder „Muslime“ im spanischen Europa deutlich ausgeprägter war als im Rest „Europas“, wo sich nicht nur die unterschiedlichen christlichen Konfessionen bis aufs Schärfste bekriegten, sondern Juden, Heiden und andere Nicht-Christen stetig um ihr Leben fürchten mussten. Selbst byzantinische Christen flüchteten aus dem Ost-Römischen Reich in „muslimische“ Gebiete, da sie vor den Übergriffen ihrer katholischen „Glaubensbrüder“ nicht so sicher waren, wie unter „muslimischer“ Herrschaft. Die katholische „Reconquista“, der nicht nur Muslime, sondern auch Juden, Heiden und christliche „Ketzer“ zum Opfer fielen, setzte dieser Zeit zwar ein grausames Ende. Die architektonischen, wissenschaftlichen und philosophischen Neuerungen beeinflussten aber viele Dichter und Denker Europas und Deutschlands in vielfacher Hinsicht.

Der Höhepunkt negativer Begegnungen zwischen „Christen“ und „Muslimen“ stellen vermutlich die viele Jahrzehnte andauernden Kreuzzüge (ca. 1095 bis 1453) dar, auf die ich nicht näher eingehen möchte, da sie dem Großteil der Leser bekannt sind. Allerdings kam es hier nicht nur zu Konflikten zwischen „Christen“ und „Muslimen“, sondern die Kreuzzüge einigten beide Seiten, nämlich sowohl „christliche“ Herrscher als auch „muslimische“ Herrscher, welche zuvor – trotz gleichen Glaubens – durch politische Konflikte untereinander zerstritten waren. Auch hier wird deutlich, dass bei einer Betrachtung der Religion nicht der spirituelle Glaube die wichtigste Rolle spielte, sondern das „System“ Religion genutzt wurde, um politische Einigkeit und Einheit (unterschiedlicher Gruppen) zu schaffen – man spricht auch davon, dass Religion „missbraucht“ wurde. Wie man es dreht und wendet: Die Bedrohung des „Islam“ oder der „Muslime“ führte zu einer Verstärkung der Einheit der europäischen Völker. Wie kann man also sagen, der Islam gehöre nicht zu Europa? Vermutlich würde es Europa in seiner heutigen Form ohne „den Islam“ gar nicht geben. Vielmehr florierten durch die Kreuzzüge auch Handel und Wissenschaft. Aus den eroberten und umkämpften Gebieten des vorderen Orients gelangten exotische Gewürze, Kunst, philosophische und religionswissenschaftliche Ideen, wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Errungenschaften und vieles andere nach Europa. Ohne diesen Konflikt der „Religionen“ oder „Kulturen“ hätte es in Europa vermutlich niemals die „Renaissance“ gegeben, die nicht ohne Grund von Spanien („Al-Andalous“) und Italien (Verbindung Mittelmeer – Orient) ausging.

Mit dem Ende der Kreuzzüge endeten aber nicht die negativen Erfahrungen mit „Muslimen“ oder „dem Islam“, denn wenige Jahrhunderte später waren es die Osmanen, die im Zuge einer Ausweitung ihres Herrschaftsgebiets mehrmals bis vor die Tore Wiens kamen. Gott bewahrte Mitteleuropa im Jahr 1683 nur knapp vor einer feindlichen Übernahme, doch die Gewahrwerdung der militärischen Übermacht der Osmanen saß tief und prägte das Bewusstsein der mitteleuropäischen Nationen bis weit in die Moderne hinein. Und auch heute fehlt es nicht an negativen Erfahrungen Europas und der westlichen Welt mit sogenannten „Muslimen“. Terrorismus- und Selbstmordattentate „im Namen Allahs“ tragen ihr Übriges bei. Dass westliche Außenpolitik ebenfalls einen Anteil am Zustandekommen terroristischer Keimzellen hat und dass die ersten Opfer solcher Terroristen selbst Muslime sind, nämlich solche, die „zu liberal“ oder „zu westlich“ seien, wird dabei gerne ignoriert oder so uminterpretiert, als handele es sich bei letzteren nicht um „echte“, bzw. „gläubige“ Muslime. Leider wurde und wird durch diesen aktuellen islamistischen Terror das Bewusstsein der Menschen auf der ganzen Welt beeinflusst. Diese Debatten haben Deutschland bereits verändert. Auch diese negativen Erfahrungen mit „dem Islam“ gehören schon jetzt zur Geschichte Deutschlands. Leider.

 

 

Mittelalter – das dunkle oder das goldene Zeitalter?

Gehen wir aber noch einmal ein paar Jahrhunderte in der Zeitrechnung zurück; ins Mittelalter. Während das Mittelalter in Europa üblicherweise als „das dunkle Zeitalter“ bezeichnet wird, nennt man es im Nahen und Mittleren Osten: „Das goldene Zeitalter“. Wie kommt das? Während das europäische Mittelalter geprägt war von Aberglaube, Angst, gewalttätigen Auseinandersetzungen und Streitereien zwischen weltlicher und religiöser Herrschaft, kam es in Asien, insbesondere in Bagdad und dem zugehörigen Herrschaftsgebiet, zu einem Aufleben von Forschung und Technik in quasi allen Bereichen der Wissenschaft. Aber nicht nur das, sondern während man in Europa alles „Unchristliche“ verdammte (und damit auch das antike griechische Erbe beinahe komplett vernichtete), lebte das Wissen antiker Zivilisationen unter arabisch-islamischen Wissenschaftlern und Gelehrten neu auf.

Aber der Reihe nach: Nach dem Tod des Heiligen Propheten Muhammadsaw kam es zur Wahl eines Nachfolgers unter den Muslimen, die als „Kalifen“ (Kalif; arab.: „Nachfolger“) die religiöse und politische Leitung der jungen islamischen Gemeinde übernehmen sollten. Nach der Ermordung Hadhrat Alisra endete dieses „Rechtgeleitete Kalifentum“. Mit der Machtübernahme durch Muawiyara und der Begründung der Umayyaden-Dynastie kam es zur Begründung eines Kalifentums mit eher politischen als religiösen Interessen, wenngleich die Bezeichnung „Kalif“ blieb. Nach innenpolitischen Auseinandersetzungen löste die Abbasiden-Dynastie die Umayyaden-Dynastie ab. Überbleibsel der Umayyaden flohen in die entferntesten Gebiete des „islamischen“ Weltreichs, nämlich nach Spanien und begründete dort ein „eigenes“ Kalifat auf der Iberischen Halbinsel in Europa (siehe oben). Gleichzeitig erlebte das islamische Weltreich, insbesondere unter der Herrschaft von Harun Al-Raschid (Amtszeit von 786 bis 809) und seinem Sohn Al-Mamun (Amtszeit 813–833) im Hauptgebiet mit seinem Zentrum in Bagdad seinen kulturellen Höhepunkt. Bereits Harun Al-Raschid unterhielt enge diplomatische Beziehungen zu europäischen Herrschern, allen voran mit Karl dem Großen, dem er einen indischen Elefanten, sowie die berühmte „Elefantenuhr“ schenkte.

Unter Harun Al-Raschid begannen Sammlung und Übersetzung diverser wissenschaftlicher und philosophischer Texte aus den verschiedensten Epochen und Kulturen ins Arabische; darunter auch viele antike griechische Texte, die in Europa bereits (aufgrund ihrer „unchristlichen“ Inhalte) in Vergessenheit geraten waren. Aristoteles, Platon, Galen, Hippokrates und Archimedes wurden dadurch bis heute erhalten und konnten erst so auch wieder in das Denken der mittelalterlichen Philosophie nach Europa zurückkehren. Oder anders gesagt: Ohne die muslimischen Übersetzungen keine antike Philosophie in Europa, ohne antike Philosophie keine Aufklärung und ohne Aufklärung kein „humanistisches“ Deutschland.

Die Errungenschaften der arabisch-islamischen Wissenschaftler begrenzten sich aber nicht nur auf bloße Übersetzungen, wie es sogenannte „Islamkritiker“ heute gerne herunterspielen möchten. Ähnlich dem wissenschaftlichen Arbeiten wie wir es heute kennen und unter Nennung der jeweiligen Quelle, auf die sie sich bei ihrer Arbeit stützten, nutzten die arabisch-islamischen Wissenschaftler das vorhandene Wissen, reicherten es mit eigenen Gedanken an und entwickelten es weiter. Einerseits kam es so zur Zusammenführung unterschiedlichen Wissens aus unterschiedlichen Kulturen, welche andererseits stetig weiterentwickelt und mit neuen Ideen bereichert wurden. In einer Atmosphäre religiöser und kultureller Vielfalt arbeiteten unter arabisch-islamischer Herrschaft und staatlicher Förderung von Akademien (z.B. im berühmten „Haus der Weisheit“ in Bagdad) muslimische, christliche, jüdische, zoroastrische und heidnische Wissenschaftler zusammen. Ohne die so gemachten Entdeckungen in den verschiedensten wissenschaftlichen Bereichen würde es die Welt, wie wir sie heute kennen, nicht geben. Es ist mir unmöglich hier alle Erfindungen zu nennen aber an einer kleinen, neugierigmachenden Auswahl, die den interessierten Leser zu eigenen Nachforschungen antreiben mag, möchte ich mich dennoch versuchen:

…in der Mathematik: das „arabische“ Zahlensystem, Algebra (arabisch: „al-dschabr“ à das Zusammenfügen gebrochener Teile), der Algorithmus (von seinem Erfinder „Al-Chuarizmi“)

…in der Astronomie: Entwicklung eines heliozentrischen Weltbilds (die Erde dreht sich um die Sonne, die im Mittelpunkt steht) durch Ibn Al-Shatir, die Erfindung des Astrolabium (durch Maryam Al-Astralabi) als mechanischer Vorläufer heutiger Navigationssysteme

…in der Chemie: die Durchführung erster kontrollierter Experimente in der Chemie (arabisch: „Al-Kimiya“), insbesondere in der organischen Chemie durch Jabir ibn Hayyan (latinisiert: „Geber“)

…in der Physik: Beweis der Theorie von Aristoteles zur Funktionsweise des Auges, sowie physikalische Experimente und die Erfindung der „Lochkamera“ (camera obscura) durch Ibn Al-Haitham (latinisiert: „Alhazen“), ohne die es heute keine Fotokameras geben würde oder zahlreiche Pumpen, Mühlen, Zahnräder, sowie die Erfindung eines Apparats, der kreisförmige in gradlinige Bewegungen transformieren kann durch Al-Dschazari als Grundlage zur Erfindung der Dampfmaschine

…in der Medizin: empirische Forschung und Methoden zur Vorbeugung von Krankheiten, insbesondere hinsichtlich Sauberkeit und Körperhygiene (religiös begründet in der Gebetswaschung); sowie Operationsmethoden und die Erfindung entsprechender Operationsgeräte, z.B. durch Abu Al-Qasim (latinisiert: „Abulcasis„), Al-Nafees, Al-Razi (latinisiert: „Rhazes“), Ibn Sina (latinisiert: „Avicenna“) und Ibn Rushd (latinisiert: „Averroes“)

…in der Philosphie: Abhandlungen über die Metaphysik von Ibn Sina, Erklärungen über die Existenz Gottes (Neuplatonismus), sowie Entstehung und Ende der Welt von Ishaq Al-Kindi (latinisiert: Alkindus), die Einführung der aristotelischen Logik in die islamische Rechtsprechung durch Al-Ghazali (latinisiert: „Algazel“); und vor Allem in Europa wichtig geworden sind die Kommentare zu fast allen Schriften von Aristoteles durch Ibn Rushd, weshalb dieser den Beinamen „Der Kommentator“ erhielt

…nicht zu vergessen Kunst, Malerei und Architektur: Torbögen, Kuppeln und Gewölbe als Elemente der Renaissance gehen auf das Vorbild mittelalterlicher Moscheen und arabisch-muslimischer Gebäude zurück.

(Dies nur eine kleine Auswahl. Der interessierte Leser sei verwiesen auf das Buch: „Das Haus der Weisheit“ von Jim Al-Khalili, einem irakischen Christen und Professor für Kernphysik, erschienen im Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2011, auch empfohlen von der Bundeszentrale für politische Bildung)

Gerne wird von „Islamfeinden“ behauptet, die Basis für oben genannte Erfindungen sei bereits in vorislamischer Zeit entstanden oder aber das Wissen wurde allein durch Perser und Nicht-Muslime in die islamische Welt gebracht. Wie bereits ausgeführt stimmt das teilweise. Wer aber den Anteil, den muslimische Wissenschaftler hierzu beitrugen so marginalisiert oder den Einfluss des islamischen Glaubens auf das Denken der Menschen dieser Zeit so negativ darzustellen versucht, offenbart mehr über die eigene islamfeindliche Haltung als über historische Tatsachen. Natürlich hat der Islam selbst nichts erfunden. Der Islam ist eine Religion und kein Erfinder. Aber natürlich hat der Islam als Gedankengebäude Muslime und Nicht-Muslime des arabisch-islamischen Weltreichs gleichermaßen beeinflusst. Zudem begünstigte die islamische Glaubenslehre die Entstehung einer Atmosphäre kultureller Vielfalt (vor Allem in der Lesart der Mutaziliten-Bewegung), in der kritisches Hinterfragen gedeihen konnte. Dies, weil das Erlangen von Wissen und das Erforschen der Natur ebenso wie die Wahrung von Religions- und Glaubensfreiheit als „islamische“ Tugenden vielfach im Heiligen Koran und vom Propheten Muhammadsaw in den Überlieferungen erwähnt werden. So heißt es beispielhaft hierzu:

  • Er ist es, Der die Sonne zur Leuchte und den Mond zu einem Schimmer machte und ihm Stationen bestimmte, auf dass ihr die Anzahl der Jahre und die Berechnung kennen möchtet. Allah hat dies nicht anders denn in Weisheit geschaffen. Er legt die Zeichen einem Volke dar, das Wissen besitzt. (Der Heilige Koran: Sure 10, Vers 6)

 

  • Der Heilige Prophet Muhammadsaw sagte: „Alle Weisheit ist das verlorene Eigentum eines Muslims, so wo immer er es findet, soll er es aufnehmen, da er am meisten dazu berechtigt ist.“ (Hadithsammlung: Tirmidhi)

 

  • Wahrlich, die Gläubigen und die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer (unter diesen) wahrhaft an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag und gute Werke tut –, sie sollen ihren Lohn empfangen von ihrem Herrn, und keine Furcht soll über sie kommen, noch sollen sie trauern. (Der Heilige Koran: Sure 2, Vers 63)

 

  • Es soll kein Zwang sein im Glauben. Gewiss, Wahrheit ist nunmehr deutlich unterscheidbar von Irrtum; wer also sich von dem Verführer nicht leiten lässt und an Allah glaubt, der hat sicherlich eine starke Handhabe ergriffen, die kein Brechen kennt; und Allah ist allhörend, allwissend. (Der Heilige Koran: Sure 2, Vers 257)

[weiterführende Links hierzu: Streben nach Wissen im Islam // Glaubensfreiheit im Islam]

 

 

Der muslimische Physiker und Nobelpreisträger Prof. Dr. Abdus Salam nahm in einem Vortrag Bezug auf diesen Zusammenhang; auch ihn regte sein islamischer Glaube einst dazu an, Wissen zu suchen und die Natur zu erforschen. Er sagte:

„Warum hatten die Muslime in den Wissenschaften die Oberhand gewonnen? Die Frühmuslime befolgten die Anweisungen des Heiligen Buches und des Propheten. Nichts könnte die Notwendigkeit der Wissenschaften besser unterstreichen als der Hinweis, dass rund 750 Verse des Heiligen Koran – das ist beinahe ein Achtel – den Gläubigen empfehlen, die Natur zu studieren, darüber nachzudenken, den Verstand zum äußersten anzuwenden und die wissenschaftliche Arbeit zum integrierenden Bestandteil des gemeinschaftlichen Lebens zu machen.“

 

 

Deutsche Dichter und Denker und der Islam

Im Jahr 1978 veröffentlichte der US-amerikanische Astrophysiker und Buchautor Michael H. Hart sein berühmtes Buch der 100 einflussreichsten Personen der Geschichte. Auf Platz 1 wählte er den Gründer des Islam, den Heiligen Propheten Muhammadsaw. Zur Begründung für seine Auswahl schreibt er: „Dass ich Mohammed die Liste der 100 einflussreichsten Personen der Weltgeschichte anführen lasse, wird einige Leser überraschen und durch andere in Frage gestellt werden, doch er war der einzige Mann in der Geschichte, der in beidem, auf religiösem als auch auf weltlichem Gebiet, überaus erfolgreich war.“

Lange bevor Michael H. Hart seine Liste vervollständigte, hatten der Islam und sein Begründersaw viele Freunde und Bewunderer in der westlichen Welt. Auch in Deutschland. Doch nicht nur das. Einige der berühmtesten deutschen Dichter und Denker wurden sehr stark von der Lehre des Islam angezogen. In ihren Werken finden wir Aussagen der Bewunderung für den Islam und den Propheten Muhammadsaw. Glaubt man ihnen, so fanden sie im Islam etwas, was sie über die Grenzen des damaligen Denkens hinausgehen ließ. Einige dieser Persönlichkeiten standen dem Islam zunächst feindlich gegenüber; so wie aufgrund der Geschichte die Mehrheit der deutschen Bevölkerung und Europas insgesamt. Doch im Gegensatz zum einfachen Volk lasen diese Deutschen selbst die islamischen Schriften, kamen selbst in Kontakt mit mystisch-islamischen Gedichten und erfuhren selbst von den Künsten und Errungenschaften arabisch-muslimischer Wissenschaftler.

 

Häufig wird in diesem Atemzug auch Friedrich II. genannt. Der preußische Kaiser gilt noch heute als Vordenker für Aufklärung und Toleranz in Europa. Von ihm stammt das berühmte Sprichwort: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“ und er meinte mit seiner Aussage konkret alle Religionen, die nämlich allesamt toleriert und vom Staat beschützt werden sollten. Ob Friedrich II. aber tatsächlich ein Freund des Islam als Religion war, bleibt umstritten. Als Herrscher auch über Sizilien, in dem damals viele Muslime lebten, konnte er arabisch, ließ arabische Schriften sammeln, um sie zu lesen, umgab sich mit Muslimen, soll sogar eine sarazenische Leibwache gehabt haben. An den Kreuzzügen nahm er zwar teil, zu den muslimischen Heerführern unterhielt er aber diplomatische Beziehungen, in deren Folge er Frieden und die Teilung Jerusalems verhandeln konnte. Ob Friedrich II. aber nun ein Verehrer des Islam (als Religion) war oder eher von politischem Pragmatismus geprägt war, ist umstritten. Islamfreunde sagen so, Islamhasser wiederum so. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

 

Friedrich Nietzsche hingegen schätzte Friedrich II. für dessen Liebe zum Islam. Er schrieb in seinem „Antichrist“:

„Krieg mit Rom auf’s Messer! Friede, Freundschaft mit dem Islam“: so empfand, so that jener grosse Freigeist, das Genie unter den deutschen Kaisern, Friedrich der Zweite. Wie? muss ein Deutscher erst Genie, erst Freigeist sein, um anständig zu empfinden? – Ich begreife nicht, wie ein Deutscher je christlich empfinden konnte…“        (Der Antichrist, 1895, Kapitel 60)

In Europa gilt der Philosoph Friedrich Nietzsche als Atheist. Diesen Ruf hat er vor Allem seinen Schriften und Aussagen zu verdanken, in denen er das Christentum kritisierte. Grund hierfür waren aber weniger die Lehren des Propheten Jesuas, sondern vielmehr die nachträglich eingefügten Dogmen und der Machtmissbrauch der Katholischen Kirche zur Lebzeit Nietzsches. Ja, Nietzsche war ein erklärter Gegner des Christentums. Kaum bekannt ist allerdings Nietzsches Begeisterung für den Islam als Philosophie- und Gedankengebäude, sowie als soziales System. Nietzsche schätzte die arabisch-islamische Wissenschaft – auch dafür, dass sie das vorchristliche, antike europäische Wissen bewahrt hatte. In seinem „Antichrist“ schrieb Nietzsche:

„Das Christenthum hat uns um die Ernte der antiken Cultur gebracht, es hat uns später wieder um die Ernte der Islam-Cultur gebracht. Die wunderbare maurische Cultur-Welt Spaniens, uns im Grunde verwandter, zu Sinn und Geschmack redender als Rom und Griechenland, wurde niedergetreten (– ich sage nicht von was für Füßen –), warum? weil sie vornehmen, weil sie Männer-Instinkten ihre Entstehung verdankte, weil sie zum Leben Ja sagte auch noch mit den seltnen und raffinirten Kostbarkeiten des maurischen Lebens!… Die Kreuzritter bekämpften später Etwas, vor dem sich in den Staub zu legen ihnen besser angestanden hätte, – eine Cultur, gegen die sich selbst unser neunzehntes Jahrhundert sehr arm, sehr »spät« vorkommen dürfte.“ (Der Antichrist, 1895, Kapitel 60)

 

Als defizitär nahm auch Rainer Maria Rilke das Christentum wahr. Der Dichter, der als einer der bedeutendsten der literarischen Moderne gilt, war ebenfalls in spiritueller Hinsicht dem Islam zugeneigt. In einem Brief schrieb er:

„Das Christentum, dachte man unwillkürlich, schneidet Gott beständig an wie eine schöne Torte, Allah aber ist ganz, ist heil.“ (Brief vom 04. 12. 1912)

Geboren und aufgewachsen in Österreich-Ungarn, bereiste Rilke Spanien und Nordafrika. Dort kam er in direkten Kontakt mit Muslimen; er las also nicht nur über den Islam und die Muslime, sondern erlebte sie auch persönlich. In seinem berühmten Brief an Ilse Blumenthal-Weiß schrieb er:

„Religion ist etwas unendlich Einfaches, Einfältiges. Es ist keine Kenntnis, kein Inhalt des Gefühls […], es ist keine Pflicht und kein Verzicht, es ist keine Einschränkung: sondern in der vollkommenen Weite des Weltalls ist es: eine Richtung des Herzens. […] Daß der Araber zu gewissen Stunden sich gegen Osten kehrt und sich niederwirft, das ist Religion. Es ist kaum. Es hat kein Gegenteil. Es ist ein natürliches Bewegtwerden innerhalb eines Daseins, durch das dreimal täglich der Wind Gottes streicht, indem wir mindestens dies: biegsam sind.“  (Brief an Ilse Blumenthal-Weiß vom 28.12.1921)

 

Während man von Rilkes Schwärmen für den Islam wenig weiß, zeigt sich dieses bei Gotthold Ephraim Lessing in seinen Werken deutlicher. Vor Allem ist hier „Nathan der Weise“ zu nennen. Sein berühmtes Drama, in dem auch die bekannte „Ringparabel“ enthalten ist, spielt in der Zeit der Kreuzzüge und liebäugelt dabei mit dem koranischen Toleranzgebot, weshalb der islamische Emir „Saladin“ entsprechend liberal auftritt. Lessing war zwar kein Muslim aber ein Verteidiger des Islam, den er im christlichen Europa zu Unrecht in Verruf sah. Für Lessing war der Islam eine „natürliche“ Religion, da sie der Vernunft – im Gegensatz zu anderen Religionen – entsprechenden Raum einräumt. In einem Fragment aus „Von Duldung der Dreisten“, das von Lessing im Jahr 1774 im dritten Beitrag seiner Reihe „Zur Geschichte und Literatur“ veröffentlicht wurde, schreibt er:

Ich getraute mir, wenn dieses mein Hauptabsehen wäre, das vornehmste der natürlichen Religion aus dem Alkoran gar deutlich, zum Teile gar schön ausgedruckt darzutun und glaube“, [dass] „ich bei Verständigen leicht darin Beifall finden werde“, [und dass] „fast alles wesentliche in Mahomets Lehre auf natürliche Religion hinauslaufe.“ (nach Horsch, S., in: Rationalität und Toleranz – Lessings Auseinandersetzung mit dem Islam, 2004, S. 41)

 

Eine ähnliche Aussage lässt sich auch von dem deutschen Vordenker und Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz finden. Als Unitarier bewunderte er die Lehre von der Einzigkeit und Einheit Gottes, die er im Islam wie in keiner anderen Weltreligion vorfand. In seiner „Theodizee“ schrieb er:

„Mohammed blieb bei diesen großen Lehren der natürlichen Theologie stehen, seine Anhänger verbreiteten sie selbst in die entlegensten Winkel Asiens und Afrikas, wohin das Christentum nicht gedrungen war, und sie schafften so in einer ganzen Reihe von Ländern die heidnischen Formen des Aberglaubens ab, die der wahren Lehre von der Einzigkeit Gottes und der Unsterblichkeit der Seele entgegenstanden.“ (Theodizee, 1710)

Der Artikel ist jetzt schon sehr lang und ich könnte noch viele weitere bedeutende Deutsche aufzählen, die den Islam hoch achteten und/oder Teile der islamischen Glaubenslehre stückweise in ihr Leben einziehen ließen. Dennoch würde ich einen solchen Artikel als unvollständig empfinden, würde ich hier nicht die beiden folgenden Persönlichkeiten aufzählen…

 

Johann Wolfgang von Goethe ist wohl der berühmteste Freund des Islam im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts und er ist es wohl bis heute. Vermutlich kam Goethe durch Herder schon früh in den Kontakt mit dem islamischen Glauben und dem Heiligen Koran. Als Goethe im Jahr 1802 eine Übersetzung von Voltaires „Mahomet“ anfertigen sollte, war er zutiefst angewidert von der Sprache Voltaires, weshalb die deutsche Übersetzung aus Goethes Feder im Vergleich zum Original viele Auslassungen und inhaltliche Veränderungen enthält. Übrigens sei hier angemerkt, dass auch Voltaire sein „Urteil“ über den Propheten Muhammadsaw später revidierte. Sein Stück „Mahomet“ war nämlich gar nicht gegen den Islam gerichtet, sondern eigentlich war es eine versteckte Kritik an der Katholischen Kirche. In seinem Jahre später geschriebenen Buch „Versuchs über die Sitten und den Geist der Nationen“ rühmte er den Propheten Muhammadsaw als umsichtigen politischen Denker und weisen Religionsstifter und wies daraufhin, dass es in „islamischen Ländern“ toleranter zuginge als in der christlichen Tradition. Gleiches gilt für Voltaires wohl berühmtestes Werk „Über die Toleranz“, wo er den Islam rühmte und die „Christen“ als am Intolerantesten brandmarkte.

Aber zurück zu Goethe. Seine Liebe zum Islam war Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Arbeiten. Insbesondere in seinem „West-Östlichen-Divan“ brachte er seine Bewunderung für den Koran und die islamische Dichtung zum Ausdruck. In seinen „Noten und Abhandlungen zum Divan“ schreibt Goethe:

„Und so wiederholt sich der Koran Sure für Sure. Glauben und Unglauben teilen sich in Oberes und Unteres; Himmel und Hölle sind den Bekennern und Leugnern zugedacht. Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplifikationen aller Art, grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.“

Ob Goethes Bewunderung für den Heiligen Propheten Muhammadsaw, den Koran und den Islam insgesamt so groß war, dass er selbst Muslim wurde, ist umstritten. Diverse Andeutungen im West-Östlichen Divan legen dies zumindest nahe. So schreibt Goethe im Kapitel Schenkenbuch:

„Ob der Koran von Ewigkeit sei? Darnach frag ich nicht! Ob der Koran geschaffen sei?
Das weiß ich nicht! Daß er das Buch der Bücher sei, Glaub ich aus Mosleminen-Pflicht.“

Nach den Worten des damaligen Bundespräsidenten Wulff flammte diese Debatte im Jahr 2011 erneut auf. Islamhasser negierten Goethes Liebe für den Islam sogar. Gut auf den Punkt brachte es aber der FAZ-Journalist Jürgen Link, der angesichts dieser grotesken Debatte schrieb: „Deshalb ist in der Kontroverse über Goethe und den Islam natürlich das von Hadayatullah Hübsch angeführte Zitat aus der Ankündigung des „Divans“ im „Morgenblatt“ vom 24. Februar 1816 der stärkste „Trumpf“ der Vertreter eines islamophilen Goethe […] Das Cotta’sche „Morgenblatt“ war seinerzeit das am weitesten verbreitete Massenmedium deutscher Sprache.“

Im Cotta’schen Morgenblatt hatte Goethe die Veröffentlichung des West-Östlichen Divans so angekündigt:

Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden. Schon ist er im Orient angelangt. Er freut sich an Sitten, Gebräuchen, an Gegenständen, religiösen Gesinnungen und Meinungen, ja er lehnt den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sey.“

 

Als letzte herausragende deutsche Persönlichkeit möchte ich Georg Wilhelm Friedrich Hegel nennen. Hegel gilt als der wichtigste Philosoph des deutschen Idealismus und beeinflusste die politische Rechte genauso wie die politische Linke (und alles dazwischen). Noch heute wird Hegel in allen möglichen Wissenschaften, insbesondere der Philosophie, Theologie, Geschichte, Politik, Soziologie, der Rechts- und der Kunsttheorie rezipiert. In seinen 1924 gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte unterteilte Hegel die Weltgeschichte und die geistige Entwicklung der Menschheit in 4 Epochen: die orientalische, die griechische, die römische und die germanische Welt. Die germanische Epoche stellte für Hegel dabei den geistigen Höhepunkt der Entwicklung des Menschen dar. Interessanterweise aber gehörte für Hegel der Islam nicht zur orientalischen Welt, wie man meinen würde, sondern eben zur höchsten Stufe, nämlich der germanischen Epoche. Anders gesagt: Für Hegel gehörte der Islam natürlich zu Deutschland, da dieser quasi den Weg zur geistigen Revolution in Europa ebnete. Für Hegel war der Islam ein Geburtshelfer der Aufklärung:

„Während das Abendland anfängt, sich in Zufälligkeit, Verwicklung und Partikularität einzuhausen, so musste die entgegensetzte Richtung in der Welt zur Integration des Ganzen auftreten, und das geschah in der Revolution des Orients, welche alle Partikularität und Abhängigkeit zerschlug und das Gemüt vollkommen aufklärte und reinigte, indem sie nur den abstrakten Einen zum absoluten Gegenstand und ebenso das reine subjektive Bewusstsein, das Wissen nur dieses Einen zum einzigen Zweck der Wirklichkeit – das Verhältnislose zum Verhältnis der Existenz – machte. […] Nie hat die Begeisterung als solche größere Taten vollbracht. Individuen können sich für das Hohe in vielerlei Gestalten begeistern; auch die Begeisterung eines Volkes für seine Unabhängigkeit hat noch ein bestimmtes Ziel; aber die abstrakte, darum allumfassende, durch nichts aufgehaltene und nirgend sich begrenzende, gar nichts bedürfende Begeisterung ist die des mohammedanischen Orients. So schnell die Araber ihre Eroberungen gemacht hatten, so schnell erreichten bei ihnen auch die Künste und Wissenschaften ihre höchste Blüte.“

Interessant ist auch, dass Hegel den Niedergang der islamischen Blütezeit dann so ähnlich beschreibt und begründet, wie es Überlieferungen (Ahadith) zufolge etwa 1300 Jahr zuvor bereits der Heilige Propheten Muhammadssaw vorausgesagt hatte; nämlich aufgrund des Verschwindens der Begeisterung für den Islam, an deren Stelle die bloße Pflege lediglich der äußeren Hülle der Religion getreten ist. Der einstige „Geist“ des Islam ist der Mehrheit der Muslime abhandengekommen. Die Folgen dieses geistigen Niedergangs und des Vergessens der islamischen Glaubenslehre in der muslimischen Welt sehen wir noch heute. Dass gerade Europa dieses Erbe bewahrt, spricht für sich. Oder wie es der Heilige Prophet Muhammadsaw einst sagte: „Die Sonne (des Islams) wird (wieder) im Westen aufgehen“.

 

Fazit

Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört in dem Sinne, ob der Islam als Religion und später auch als System die Kulturgeschichte Deutschlands beeinflusst hat, muss mit einem JA beantwortet werden. Dabei ist es auch völlig unerheblich, ob diese Einflüsse von der Gesellschaft als positiv oder negativ wahrgenommen wurden. Ja es ist auch unerheblich, ob sie überhaupt als „vom Islam versursacht“ wahrgenommen wurden. Nur weil wir uns in Deutschland des Einflusses arabisch-islamischer Wissenschaften nicht (mehr) bewusst sind, heißt das nicht, dass es sie nie gab und dass der Islam und seine Muslime, die in der Zeitgeschichte Großes bewirkt haben, keinen Einfluss auf Europa und Deutschland gehabt hätten. Das Bewusstsein hierüber ist nicht wichtig, um vorhanden zu sein; allerdings könnte das Bewusstsein dessen einer Spaltung der Gesellschaft vorbeugen. Muslimischen und Islamfeindlichen Extremisten, die tatsächlich Brüder im Geiste sind, würde das einen großen Teil ihres Windes aus den Segeln nehmen. Und was noch wichtiger ist: Es wäre schlichtweg die geschichtliche Wahrheit.

Sowohl früher als auch heute waren und sind es doch vor Allem politische und pseudo-religiöse Interessen (bei denen das Christentum vorgeschoben wurde und wird), die dazu führen, dass man hierzulande dem Islam keinen bedeutenden Platz in der Geschichte einräumen wollte und will.

Der große britische Orientalist und Islamwissenschaftler William Montgomery Watt schrieb hierzu in seinem Buch „Der Islam – Band I“:

„Von den großen Weltreligionen ist der Islam wohl diejenige, deren unvoreingenommene Betrachtung dem Abendländer am schwersten fällt. Die Gründe hierfür reichen tief in die Vergangenheit zurück. Insbesondere unter dem Eindruck der Kreuzzüge wollten im 12. und 13. Jahrhundert abendländische Gelehrte mehr über die islamische Religion in Erfahrung bringen. Aber das Bild, das sie dabei entwarfen, kann man wohl am treffendsten mit dem Attribut „verzerrt“ belegen. Die abendländische Einstellung gegenüber dem Islam und den Muslimen orientierte sich dann über Jahrhunderte hinweg an diesem „verzerrten Bild“. Auch der objektivieren Forschung der letzten 150 Jahre ist es nicht gänzlich gelungen, das Islambild für den heutigen abendländischen Betrachter zu entzerren. Gerade in einer Welt, in der die Kontakte zwischen Christen und Muslimen immer zahlreicher und wichtiger werden, sollte man sich bemühen, über die historischen Ursachen der Vorurteile, die wir vielleicht immer noch unbewußt hegen, Klarheit zu gewinnen.“ (Watt, M., Der Islam, Stuttgart, 1980, S. 17)

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Friede sei mit Ihnen,

Volker Ahmad Qasir

Über Volker Ahmad Qasir

Volker Ahmad Qasir, Fulda
Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles, Artikel abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

4 Antworten zu Gehört der Islam zu Deutschland? – Eine Frage der Geschichte

  1. Pingback: Stellungnahme zu den Vorwürfen des AfD Kreisverbands Fulda gegen die Ahmadiyya Muslim Jamaat und den Bau der Bait-ul-Hamid Moschee in Fulda | www.Qasir.de

  2. Eine Freundin. schreibt:

    Immanuel Kant haben Sie vergessen. Bei seinem Studium mit der Astronomie kam er in Kontakt mit muslimischen Wissenschaftlern und dann wahrscheinlich mit Ibn Sina und der Philosophie. Sieht jedenfalls stark danach aus und wenn man schon „Im Namen Gottes“ auf arabischer Schrift über seiner Doktorantenurkunde hat, sieht das schon so aus als gäbe es da einen Zusammenhang!

  3. Volker Ahmad Qasir schreibt:

    Vielen Dank lieber SalvaVenia, die Telefonate mit dir habe ich genossen! Leider im Moment wieder wenig Zeit. Vielleicht schreibst du einfach mal was dazu 😉

  4. Pingback: Gehört der Islam zu Deutschland? – Nur eine Frage der Integration!? | www.Qasir.de

Hinterlasse einen Kommentar