Blasphemie, Meinungsfreiheit und das Problem der gegenseitigen Wahrnehmung
Der islamfeindliche Film „The innocence of Muslims“ hat nicht nur für weltweite Unruhen und gewalttätige Angriffe auf US-Botschaften gesorgt, sondern auch in Deutschland eine Debatte entfacht, in der man auf der einen Seite über das den inneren sozialen Frieden bedrohende Potential von Gotteslästerung und auf der anderen Seite über das Recht auf freie Meinungsäußerung diskutiert.
Obwohl das Thema als solches doch relativ wichtig ist und nicht nur in Bezug auf den Islam so manches Konfliktpotential birgt, ist das Aufkommen der Debatte aufgrund eines solchen Machwerks dennoch fehl am Platz, da dies in erster Linie dazu führt, dass dem Film eine Aufmerksamkeit zu Teil wird, die ihm gar nicht gebührt und durch die er wenigstens unter Islamgegnern zu einer Art Symbol der Meinungsfreiheit avanciert, obwohl er mit den hohen Idealen der Verteidiger des Rechts auf die Äußerung der eigenen Meinung nichts zu tun hat. Im Gegensatz zur Satire nämlich, bei der ein tatsächlich bestehendes Problem überspitzt dargestellt und den Verantwortlichen somit unverschleiert vor Augen geführt wird, beinhaltet dieser missglückte Versuch eines Films lediglich geschichtswissenschaftlich höchst zweifelhafte Behauptungen, die bereits von vornherein so angelegt sind, dass sie die Gefühle der Muslime verletzen, ohne dabei tatsächlich ein Umdenken des Individuums oder der Gesellschaft herbeizuführen. Folglich kommt das Thema des Rechts auf freie Meinungsäußerung bei diesem Film überhaupt nicht zum Tragen, da er keine Meinung vermittelt, sondern unwissenschaftliche Behauptungen in den Raum stellt, um nicht zu sagen, Lügen verbreitet, die einzig und allein dem Zweck dienen, eine bestimmte Gruppe Menschen zu provozieren. Diesen Zweck allerdings hat er mehr als erfüllt, leider.
Zu Recht wurde festgestellt, dass der Film offensichtlich gar nicht der Auslöser für die gewaltsamen Angriffe auf US-Botschaften und westliche Einrichtungen in der „islamischen“ Welt war, sondern wenn überhaupt nur ein fadenscheiniger Vorwand, der von Extremisten auf beiden Seiten gezielt in Szene gesetzt wurde, um geplante Vorhaben zur weiteren Spaltung der Gesellschaften in die Tat umzusetzen, von Islamisten dort, von Rechtsextremisten hier. Warum aber ein solcher Film, dessen Produzent die Gemüter der Menschen bislang offenbar eher in einem anderen Metier erregt hatte, bei Muslimen in den sogenannten „islamischen“ Ländern überhaupt solche Wellen schlagen kann, lässt sich aber nur über eine Betrachtung der Machtverhältnisse vollständig erklären.
Auf der gesamten Welt ist es plakativ gesagt „der Westen“, der die Regeln aufstellt und der festlegt, was gut und was schlecht ist, was recht und was unrecht. Dies tut er in erster Linie aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen, sowie nicht zuletzt wegen seiner militärischen (Über)Macht, welcher eine riesige Machtlosigkeit der Muslime gegenüber steht, deren Stimmen und Meinungen nur sehr selten gehört, geschweige denn beachtet werden. In dieser Weise bestimmen also wir im Westen auch den Diskurs um das Verhältnis von Blasphemie und Meinungsfreiheit, bei der bisher stets die Meinungsfreiheit unangefochtener Sieger gewesen ist. In ihrer völligen Machtlosigkeit wissen die Muslime sich nicht anders zu helfen, als sich mit Aggression und Gewalt gegen diese Bevormundung des Westens zu wehren. Allerdings führt das letztlich nur dazu, dass das ohnehin bestehende Bild der Muslime als „Feinde der Meinungsfreiheit“ nur weiter bestätigt wird. In diese Falle tappen die Muslime allerdings in erster Linie deshalb, weil sie die Lehren des Islam nicht befolgen, womöglich heutzutage auch gar nicht mehr selbst kennen. Durch ihre Gewalttaten verhalten die Muslime sich unislamisch und ziehen damit den Islam und das Ansehen des Propheten Muhammad (Frieden und Segnungen Allahs seien auf ihm) in den Dreck.
Der Islam lehrt uns, dass Glaubens- und Meinungsfreiheit (das arabische Wort für Glauben „Din“ bezieht sich nicht nur auf die Religion, sondern auf jede Art von Meinung oder Weltanschauung) einen hohen Stellenwert hat und es finden sich folglich zahlreiche Verse im Heiligen Koran, die dies unmissverständlich machen. Obwohl der Islam Gotteslästerung als moralisch verwerflich ansieht, da es gezielt die Gefühle der Menschen in einer Gesellschaft verletzt, unabhängig davon, ob es sich dabei um die Mehrheit oder um eine Minderheit handelt, so findet sich in der islamischen Lehre kein Hinweis auf eine weltliche Strafe hierzu. Im Gegenteil. Im Koran wird Blasphemie an fünf Stellen behandelt, wobei die Muslime zweimal dazu angehalten werden, Versammlungen demonstrativ zu verlassen, bei denen über Gott oder den Islam schlecht gesprochen wird, einmal werden die Muslime dazu ermahnt, selbst nicht schlecht über andere Religionen zu sprechen, einmal wird eine Beleidigung gegen die Mutter Jesu, Maria, verurteilt und einmal eine Beleidigung gegen den Propheten Muhammadsaw seitens seiner Gegnerschaft. Stets gibt es keine Strafe, außer dem Missfallen Gottes und einer jenseitigen Verurteilung am Tage des Gerichts (Vgl. Ahmad, Hadhrat Mirza Tahir, Islam’s Response to Contemporary Issues, Tilford, 1997, S. 48-52).
Daneben ist aus der zweiten islamischen Quelle, den Ahadith, eine Begebenheit überliefert, die verdeutlicht, wie sich der Prophet Muhammad (saw) bei Lästerungen ihm und des Islam gegenüber verhalten hatte. Einer Überlieferung zufolge wurde der Prophet (saw) in Mekka von einem Polytheisten beschimpft, der den Propheten (saw) dabei jedoch nicht mit dessen richtigem Namen Muhammad („der viel Gepriesene“) ansprach, sondern stattdessen einen abwertenden Schimpfnamen verwendete. Einer der Gefährten des Propheten wurde darüber zornig und wollte antworten, der Prophet (saw) aber sagte, dass es keinen Grund gäbe zu antworten, da der Lästerer nicht den Propheten (saw), sondern eine Person mit einem anderen Namen gemeint habe.
In diesem Sinne ist die islamische Lehre sehr gut dazu geeignet, die Situation der Muslime in den islamischen Ländern zu verbessern und diese dazu anzuhalten, sich trotzdem ihre religiösen Gefühle verletzt wurden, in Geduld zu üben und auf Gott zu vertrauen. Darüber hinaus hält der Islam das Recht auf Meinungsfreiheit ebenso hoch, wie auf der anderen Seite davor gewarnt wird, innerhalb der Gesellschaften nicht Unruhe zu stiften oder verschiedene Gruppen gegeneinander aufzustacheln. Das ist auch der Grund dafür, warum auch hiesige Debatten über Blasphemie und Meinungsfreiheit von dieser Lehre profitieren können, wenngleich die Frage, ob Blasphemie nach islamischer Auffassung strafbar sei oder nicht, angesichts der Komplexität des Themas nur schwer eindeutig beantwortet werden kann und es ebenfalls einer längeren Diskussion hierüber bedarf. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass es eine Grauzone gibt, bei der sich Meinungsfreiheit und Blasphemie stark überschneiden. So ist es für Muslime Wahrheitsfindung und Meinungsfreiheit, Jesus dessen leibliche Gottessohnschaft abzusprechen, für Christen hingegen erscheint eine solche Behauptung als anmaßend und verletzend. Dort allerdings, wo eine solche Grauzone nicht besteht und Blasphemie als eindeutige Provokation angelegt ist (wie z.B. bei erwähntem Schmähfilm der Fall), erscheint eine Erwägung des Straftatbestands von Blasphemie angebracht zu sein, um weiteren gesellschaftlichen Unfrieden zu verhindern. Besser wäre es jedoch, dass diesem eine soziale Ächtung des Blasphemikers vorausgeht. Die Menschen in Ost und West müssen sich gemeinsam gegen die Schmähungen anderer Völker, Kulturen und Heiligtümer aussprechen und Gotteslästerer mit gesellschaftlicher Verachtung abstrafen. Dies wäre der wichtigere Schritt für ein friedliches Zusammenleben und gegen jeglichen Versuch, einen Keil zwischen unterschiedliche religiöse Gruppen zu treiben, den Frieden zu stören und Unruhe in einer Gesellschaft zu provozieren.
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Danke für diese klaren und aufklärenden Worte!