Weltanschauliche Verwirrungen – Frage 1/3: Krieg gegen die „Ungläubigen“

Nachdem ich mich in einem Leserbrief in der Fuldaer Zeitung über PEGIDA und gewisse Identitätsprobleme in Teilen der deutschen Bevölkerung äußerte, erhielt ich eine Antwort auf meinen Leserbrief, in dem ich auf kritische, gleichzeitig aber respektvolle Art und Weise auch drei Fragen zum Islam gestellt bekam. Da die Fuldaer Zeitung mir wohl keine Doppelseite für eine entsprechende Stellungnahme einräumen wird, möchte ich den Raum meines Blogs hierfür nutzen. Vielen Dank an Herrn Kreß, für Ihre Fragen, die ich nun gerne im Detail beantworten möchte (vgl. hierzu auch: Weltanschauliche Verwirrungen – Frage 2; Weltanschauliche Verwirrungen – Frage 3):

Fuldaer Zeitung vom 23.12.2014

Frage 1: Wie versteht ein frommer Muslim Sure 9,73 im Koran, in der zum Krieg gegen die „Ungläubigen“ aufgerufen wird, wenn er dieses Buch als heiligstes, direkt von Gott gesprochenes Wort ansehen muss?

In dieser Frage stecken mehrere Dinge. Zuerst zum angesprochenen Koranvers; darin heißt es:

„O Prophet, streite gegen die Ungläubigen und die Heuchler. Und sei streng mit ihnen. Ihr Aufenthalt ist die Hölle, und schlimm ist die Bestimmung!“ (9:73)

Nun, zunächst einmal kommt meine Standardantwort zu solchen Dingen: Es ist sowohl zur pro-islamischen Untermauerung, als auch zur anti-islamischen Untermauerung nicht besonders sinnvoll, einzelne Passagen aus ihrem Kontext im Koran oder aus den Ahadith (islamische Überlieferungen aus den Aussprüchen und Verhaltensweisen des Propheten Muhammad, saw) herauszulösen und diese dann in einem anderen (meist eigenen) Kontext zu interpretieren. Deshalb ist es grundsätzlich wichtig, den Kontext der betroffenen Verse zu beachten. Meiner Erfahrung nach hat man dann meistens schon seine Antworten. Den gesamten Kontext der Offenbarung zu beachten wäre dann der nächste Schritt, was allerdings für einen Nicht-Muslim und/oder Laien relativ aufwändig ist.

Der Vers steht im Kontext der Unterscheidung von Gläubigen und Nicht-Gläubigen („Ungläubige“ kennt der Islam eigentlich nicht, das ist eher ein deutsches Wort, das in Ermangelung eines adäquaten Pendants trotzdem häufig in Übersetzungen Anwendung findet. Das arabische „kafir“ bezeichnet Menschen, die etwas leugnen oder ablehnen, bzw. bewusst verdecken; in diesem Fall den Islam). Dem Vers voraus geht die Beschreibung der Gläubigen, denen auch Erfolg versprochen wird. Im Anschluss beginnt die Beschreibung Nicht-Gläubigen, die dieser Vers einleitet.

Der Vers muss nicht notwendigerweise auf den Krieg bezogen werden, viele Gelehrte tun das aber. Der Vers berührt danach sowohl den Krieg gegen Nicht-Muslime, als auch gleichzeitig die Glaubensfreiheit. Dabei muss allerdings unterschieden werden zwischen den Muslimen als „politische“ Gruppe und als „religiöse“ Gruppe. In einem anderen Leserbrief habe ich das Problem bereits schon einmal beschrieben: „Im Frühislam geschah der Glaubenswechsel zurück zum Polytheismus normalerweise aus politischem Kalkül heraus und die Apostaten verrieten geheime Pläne und bekämpften die Muslime anschließend mit dem Schwert. In selteneren Fällen allerdings gab es Menschen, die den Islam friedlich verließen und dies wurde nachweislich vom Propheten Muhammad auch nicht bestraft. Ersteres war also politischer Hochverrat, zweiteres war Glaubensfreiheit.“

Kurzum: Den Glauben frei zu wählen, ist ein grundlegendes Menschenrecht und im Koran fest verankert. Nirgends im Koran wird man finden, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens oder Andersglaubens eine weltliche Strafe (z.B. Todesstrafe bei Apostasie, etc.) erleiden sollen und auch die Praxis des Propheten Muhammad und der Rechtgeleiteten Kalifen des Islam entsprechen dem. Allerdings gab es manchmal Probleme, die das ganze für Außenstehende nicht so trennscharf erscheinen lassen. So trat einmal ein Volksstamm aus dem Islam aus und weigerte sich danach Steuern zu zahlen. Für die fehlenden Steuerzahlungen wurden sie bestraft, nicht aber für den Glaubensabfall. Ähnliche Beispiele gibt es bei einzelnen Personen, weshalb man eben unterscheiden muss. Wer einen Staat bekämpft oder gegen Gesetze verstößt, hat mit einer weltlichen Strafe zu rechnen. Für den Glaubenswechsel gibt es keine weltliche Strafe, wenngleich das in sogenannten „islamischen Ländern“ leider anders praktiziert wird. Das hat aber mehr mit Macht und Politik, sowie mit den Folgen der Kolonialisierung einiger Länder und dem anschließenden Einfluss sogenannter „christlicher Staaten“ zu tun.

Dass die Religionsfreiheit etwas anderes ist, als politische Bündnisse und Kämpfe wird auch in den ebenfalls häufig als vermeintlicher Beleg für den „Kampf gegen Ungläubige“ zitierten Versen der Sure 4, 90-92 deutlich. Darin heißt es:

Sie wünschen, dass ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, so dass ihr alle gleich seiet. Nehmet euch daher keinen von ihnen zum Freund, ehe sie nicht auswandern auf Allahs Weg. Und wenn sie sich abkehren, dann ergreifet sie und tötet sie, wo immer ihr sie auffindet; und nehmet euch keinen von ihnen zum Freunde oder zum Helfer;

außer denen, die Verbindung haben mit einem Volke, mit dem ihr ein Bündnis habt, und die zu euch kommen, weil ihre Herzen davor zurückschrecken, wider euch oder wider ihr eigenes Volk zu kämpfen. Und wenn Allah es wollte, Er hätte ihnen Macht über euch geben können, dann hätten sie sicherlich wider euch gekämpft. Darum, wenn sie sich von euch fernhalten und nicht wider euch kämpfen, sondern euch Frieden bieten: dann hat Allah euch keinen Weg gegen sie erlaubt.

Ihr werdet noch andere finden, die wünschen, in Frieden mit euch und in Frieden mit ihrem eigenen Volk zu sein. Sooft sie wieder zur Feindseligkeit verleitet werden, stürzen sie kopfüber hinein. Wenn sie sich also nicht von euch fernhalten noch euch Frieden bieten noch ihre Hände zügeln, dann ergreifet sie und tötet sie, wo immer ihr sie auffindet. Denn gegen diese haben Wir euch volle Gewalt gegeben. (4:90-92)

In den genannten Versen geht es ebenfalls um kriegerische Auseinandersetzungen. Dabei wird gesagt, dass man sich von Menschen, mit denen man sich im Krieg befindet, keinen zum Freund oder Helfer nehmen soll, außer (!) solche, mit denen man ein Friedensbündnis hat (trotzdem sind diese Menschen ja noch „Ungläubige“) oder die nicht gegen die Muslime kämpfen möchten. Wer also nicht gegen die Muslime kämpft, der wird auch nicht bekämpft – und zwar unabhängig davon, welchen Glauben dieser Mensch hat. Ja es wird sogar gesagt, dass diese Menschen einen anderen Glauben haben, also „ungläubig“ sind, und sie trotzdem nicht bekämpft werden dürfen! Es wird sogar gesagt, dass diese Menschen die Muslime wohl bekämpfen würden, wenn sie selbst die Macht dazu hätten und trotzdem (!) ist es den Muslimen verboten, solche Menschen zu bekämpfen, die Frieden möchten. Nur wenn die Angriffe von den Nicht-Muslimen ausgehen, ist den Muslimen Gewalt erlaubt – aber auch das natürlich nur im Krieg und nicht im Alltag, logischerweise. Selbstjustiz ist auch im Islam verboten und zwar unabhängig davon, ob die Regierung eine islamische ist oder nicht. Die Rechtmäßigkeit einer Regierung hängt nicht von dem im Staatsvertrag oder der Verfassung verankerten Glauben ab, aber dazu an anderer Stelle mehr…

Was ich am Ende noch klarstellen möchte: Ein Muslim „muss“ den Koran nicht als wörtliche Offenbarung ansehen, er tut es aber gemeinhin. Im Frühislam war man übrigens unter Muslimen viel kritischer in der Haltung gegenüber Offenbarungen und Koranversen. Das belebt auch die Koranexegese (Tafsir), die viel früher im Islam einsetzte, als im Christentum, nämlich praktisch mit der Offenbarung selbst. Man hat viel mehr hinterfragt und gerade deshalb auch meistens mehr über den Glauben gewusst. Infolge des Imperialismus und der in diesem Zusammenhang aufkeimenden Politisierung des Islam (Stichwort: Wahabbismus / Salafismus, etc.) haben die extremen Kräfte leider an Einfluss gewonnen. Ähnliches ist auch im Zusammenhang mit der Kopftuchdebatte zu beobachten. Auch dieses Thema hat erst durch westliche Einflüsse eine so hohe Relevanz unter Muslimen erfahren.

Vielen Dank und ich hoffe, ich konnte die erste Frage einigermaßen zufriedenstellend beantworten.

Volker Ahmad Qasir

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Volker Ahmad Qasir, Fulda
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6 Antworten zu Weltanschauliche Verwirrungen – Frage 1/3: Krieg gegen die „Ungläubigen“

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  5. Volker Ahmad Qasir schreibt:

    Hallo und Salams,
    das mag sein, dass ich das hätte machen können, aber 1.) wäre es dann nicht mehr so (relativ) kurz und knapp gewesen und 2.) sind es einfach viel zu viele Koranverse, da das Thema fast in jeder größeren Sure behandelt wird.

    Auszüge aus dem Koran:

    – Es soll kein Zwang sein im Glauben. Gewiss, Wahrheit ist nunmehr deutlich unterscheidbar von Irrtum; wer also sich von dem Verführer nicht leiten lässt und an Allah glaubt, der hat sicherlich eine starke Handhabe ergriffen, die kein Brechen kennt; und Allah ist allhörend, allwissend. (2:257)

    – Streiten sie aber mit dir, so sprich: „Ich habe mich Allah ergeben und ebenso die, die mir folgen.“ Und sprich zu jenen, denen das Buch gegeben ward, und zu den Analphabeten: „Habt ihr euch ergeben?“ Haben sie sich ergeben, dann sind sie sicher auf dem rechten Weg, wenden sie sich aber zurück, dann obliegt dir nur die Verkündigung; und Allah achtet wohl der Diener. (3:21)

    – Hätte Allah Seinen Willen erzwungen, sie hätten (Ihm) keine Götter zur Seite gesetzt. Wir haben dich nicht zu ihrem Hüter gemacht, noch bist du ein Wächter über sie. (6:108)

    – Und schmähet nicht die, welche sie statt Allah anrufen, sonst würden sie aus Groll Allah schmähen ohne Wissen. Also ließen Wir jedem Volke sein Tun als wohlgefällig erscheinen. Dann aber ist zu ihrem Herrn ihre Heimkehr; und Er wird ihnen verkünden, was sie getan.(6:109)

    – Und wenn einer der Götzendiener bei dir Schutz sucht, dann gewähre ihm Schutz, bis er Allahs Wort vernehmen kann; hierauf lasse ihn die Stätte seiner Sicherheit erreichen. Dies weil sie ein unwissendes Volk sind. (9:6)

    – Und hätte dein Herr Seinen Willen erzwungen, wahrlich, alle, die auf der Erde sind, würden geglaubt haben insgesamt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, dass sie Gläubige werden? (10:100)

    – Doch wenn sie sich wegkehren, dann bist du für nichts verantwortlich als für die klare Verkündigung. (16:83)

    – Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch sicherlich zu einer einzigen Gemeinde gemacht; jedoch Er lässt den irregehen, der es will, und führt den richtig, der es will, und ihr werdet gewiss zur Rechenschaft gezogen werden für das, was ihr getan. (16:94)

    – Und sprich: „Die Wahrheit ist es von eurem Herrn: darum lass den gläubig sein, der will, und den ungläubig sein, der will.“ (18:30)

    – Sprich: „Ich verlange von euch keinen Lohn dafür, nur dass jeder, der will, den Weg zu seinem Herrn einschlagen mag.“ (25:58)

    – Euch euer Glaube, und mir mein Glaube. (109:7)

    etc.pp.

  6. Jehangir schreibt:

    Netter Beitrag. Kurz und knapp aber ich finde man hätte noch paar mehr Koranzitate über Glaubensfreiheit zeigen können. Zum Beispiel in Sure Al-Kaferun heißt es ja, die Ungläubige direkt ansprechend: Euch euren Glauben und mir meinen Glauben.

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